Ich kenne Ilsenburg seit über 20zig Jahren von
Tagesausflügen, habe aber jetzt das erste Mal für eine Woche einen Aufenthalt
gebucht. Das erlaubt mir, mehr vom Ort selbst zu entdecken als die wohl
bekannteste Perspektive von Ilsenburg: den Forellenteich und die „Rothen
Forellen“ und den kleinen Marktplatz.
Gleich bei meinem ersten Rundgang gerate ich ins Staunen.
Mein Spontaneindruck: Hier ist Geld im Ort. Auffällig ist der hervorragende
Zustand der vielen renovierten Häuser: frisch gestrichene Fassaden, intakte
eiserne Zäune, Ziegel und Schiefer an den Seitenwänden der Häuser. Die
liebevoll bepflanzten Gärten verraten intensive Betreuung. Blühende Lindenbäume
duften intensiv und runden die einladende Atmosphäre ab.
Während ich so Betrachtung vor einem Haus stehen bleibe,
kommt ein junges Paar mit Kinderwagen vorbei. „Reisen Sie gleich wieder ab,
hier gibt es nichts Interessantes!“, ruft mir der junge Mann zu. Wir kommen ins Gespräch. Was ist der Grund
für diese Einschätzung? Ich vermute, dass der junge Mann keine Arbeit hat, denn
im Harz gibt es nur wenige Arbeitsmöglichkeiten. Aber nein, dies sei hier kein
Problem. Man fände so schlecht eine Wohnung, sie hätten nur mit viel Glück eine
gefunden. Die junge Frau schwächt den negativen Eindruck ihres Partners ab. Er
komme aus „Wasserleben“ – der Ort sei mit Ilsenburg verfeindet. Ich behalte diese
Einschätzung im Hinterkopf - und
besichtige Ilsenburg weiter.
Im Verlauf meines Aufenthalts wird mir deutlich, dass
Ilsenburg einen ganz anderen historischen Hintergrund hat – der sich eben auch
in den Bauten ausdrückt – als viele Harzorte. Nicht nur das Ilsenburger Schloss
(im Besitz der Grafen Stollberg – Wernigerode bis 1945), das ursprüngliche
Benediktiner Kloster (Romanik) und der Herrenhof mitten in der Stadt
(Marienhof, Wohnort der Fürstin Eleonore v. Reuss im 19. Jahrh.) sorgten für
die Bedeutung des Ortes. Ilsenburg hat auch eine besondere Stellung durch seine
Industriegeschichte.
Andere Harzorte verarmten mit dem Ende des Abbaus von
Silber und Erz, aber Ilsenburg konnte sich auch im 18. und 19. Jahrhundert noch
weiterentwickeln. Ilsenburg war ein Zentrum der Metallverarbeitung. 32 Mühlen
wurden durch das Wasser der Ilse angetrieben, eben nicht primär Getreidemühlen,
sondern z. B. Sägemühlen, Nagelmühle. Es gab ein Eisenwalzwerk und Drahthütten,
in denen z.B. Ketten hergestellt wurden.
Auf der Ilse wurden Bäume geflößt. 8 Stauteiche wurden für die Energiegewinnung
angelegt.
So kommt es, dass Ilsenburg eine „Mittelstellung“ zwischen
den alten Städten wie Blankenburg oder Wernigerode und den Bergorten wie St.
Andreasberg einnimmt.
In der Touristinfo frage ich nach. Eine nette Dame gibt mir
bereitwillig Auskunft. Ilsenburg hat – mit den Ortsteilen Drübeck und
Darlingerode – 10000 Einwohner. Es gibt ein Gewerbe- und Industriegebiet, das
noch weiter ausgebaut wird. ThyssenKrupp Nockenwellen sind hier präsent ebenso
wie ein Walzwerk der Salzgitterwerke. Mitarbeiter der Managmentebene lassen
sich gerne in Ilsenburg nieder, auch die Facharbeiter suchen Wohnungen. Auch
die Angestellte im Tourismusbüro sucht mit ihrem Mann ein Haus – aber sie haben
Ilsenburg auf Grund der hohen Preise nun schon ausgeschlossen.
Ich freue mich
Hintergründe zu erfahren und so Ilsenburg nicht nur als Wanderort wahrzunehmen. Beim Kaffee in den "Rothen Forellen" sehe ich mir den Forellenteich noch einmal von der gegenüberliegenden Seite an.